Martin Amanshauser

Vergiss Istanbul

Jüngst eröffnete das Le Méridien Istanbul Etiler. Es bietet alles, was man zur Unterhaltung braucht: großartiges Spa, atemberaubende Ausblicke, hübsche Nachttischlampen und gruselige Aufzüge.

Den hübschen Hotel-Bademantel stehlen – mit diesem Gedanken hat fast jeder schon einmal gespielt. Im neuen Le Méridien in Istanbul besäße man am liebsten die Nachttischlampe. Ein bezauberndes Ding aus Vollglas, rundlich, in der Form einer überdimensionalen Glühbirne. Unter der Innenoberfläche hängt eine bewegliche LED-Lampe, deren Arm sich mittels Magneten von außen bewegen lässt. Sinan Kafadar (Büro Metex) heißt der Innenarchitekt, der sich um diese Details gekümmert hat. Das 34 Stockwerke-Gebäude mit 259 Zimmern, darunter 21 Suiten, wurde vom preisgekrönten Emre Arolat entworfen. Unbescheidenes Ziel: ein Wahrzeichen der Stadt zu kreieren. Immerhin handelt es sich um das erste ganz neu gebaute Le Méridien, das in einer europäischen Metropole eröffnet.

Le Méridien, einst Tochtergesellschaft der Air France, gehört seit 2005 dem Hotel- und Freizeitmulti Starwood, der der Kette einen Relaunch verpasst. Als Resultat soll eine „zeitgenössische, designorientierte Lifestylemarke“ für kreative, spendierfreudige Kosmopoliten entstehen. Und das Rebranding, vulgo die Suggestion, der Gast sei Teil eines Besseren, Größeren, funktioniert recht überzeugend. Schon in der Lobby gibt es kein dumm-formelles Rezeptionswarten. Während Kaffee serviert wird, gibt man jemandem die Pässe, und jemand anderer erledigt die Bürokratie. Von hinten lockt ein offenes Buffet mit Snacks.

Der erste Schock erwartet einen bei den drei Schindler-Aufzügen. Die haben innen keine Drücktasten. Außen muss man seine Stockwerk-Nummer in eine Art Bankomattastatur eingeben. Da der Computer „mitdenkt“, kann es sein, dass gemeinsam Reisende in verschiedene Fuhren aufgeteilt werden: Effizienz sticht Freundschaft. Zudem bricht das System regelmäßig zusammen. Fluchend wünschen sich die Gäste den guten, alten Normalo-Lift zurück.

Ab ins Zimmer! Vom Lampenschirm über das Tischbein bis hin zu den Wandverkleidungen – alles will in diesem haptischen Museum angefasst werden. In den Ausblick könnte man versinken wie in die ultrabequemen Méridien-Betten. Unten drückt sich der Verkehr der farbenprächtigen Monsterstadt durch das Nadelöhr der Fatih-Sultan-Mehmet-Brücke, hinüber ins bürgerliche Asien: eine geisterhaft leise Blechlawine aus der Vogelperspektive. Die Terrasse der Rooftop-Bar ist noch imposanter, erstreckt sich von Etiler (Beşiktaş, gehobene Mittelschicht) zum Bosporus, zeigt aber auch den Nachteil einer nicht-zentralen Location: jeder fragt, wo das berühmte Zentrum nun eigentlich sei.

Vergiss Istanbul – man könnte einfach im Hotel bleiben. Das Spa die perfekte Mischung aus Ästhetik und Coolness. Restaurants: international, mediterran. Dazu das professionell kuratierte Le Méridien-Kunstprogramm mit Schwerpunkt auf türkische Künstler. Bedenkt man, wie Hotels üblicherweise mit Kunst umgehen – Blumenkitsch, Matrosenschick, Kandinsky-Repro – keine schlechte Idee. Ein Protagonist: der Hamburger Marcus Kreiss, Jahrgang 1961. Er gründete den europäischen Kabel-Sender „Souvenirs from earth“. Videokunst, die ausschließlich mittels Bildsprache funktioniert, läuft am Flat-Screen in der Lobby. Auch hier herrscht tiefe Versinkgefahr.

Le Méridien Istanbul Etiler, Cengiz Topel Caddesi 39, Etiler, Beşiktaş, Istanbul, www.lemeridienistanbuletiler.com.